Die minutiös geplante Schinderei


9. Juli 2025 / Daniel

Warum tut man sich so etwas freiwillig an, fragte meine Nachbarin in Berlin nach mitleidigem Blick auf meine kaputten Hände und kurzer Erklärung des AYCR für Nicht-Ruderer? Weil man dort mit viel Spaß enorme „physische und psychische Grenzverschiebungen“ erleben kann! Kopfschütteln bei der Nachbarin; Lachen in meinem Gesicht.

Für das diesjährige All you can row (AYCR) hatte mich mein Karlsruher Ruderkamerad Manuel vom KRA (Karlsruher Rheinklub Alemannia) eingeladen, mit dem ich zwar bereits auf Wanderfahrten war, aber noch keine derlei anspruchsvollen Touren absolviert hatte. Manuel hatte mit Regina (KRA) auch eine weitere Kameradin gefunden, mit der wir das AYCR im gesteuerten Zweier wagen wollten. Während Manuel und Regina zusammen im Frühjahr auf dem Rhein ruderten und trainierten, habe ich entfernt in Berlin versucht, beim Wanderrudern in Form zu kommen. Eine für den Winter angesetzte, gemeinsame zweitägige Trainings-Wanderfahrt auf dem Rhein war leider aufgrund von Nebel ausgefallen. Parallel klärten wir über die Distanz die wichtigen Fragen zu Boot, Ausrüstung, Wechseltaktik, Logistik usw. An dieser Stelle ein großer Dank an den KRA, der uns mit dem Schellenbacher „Elfsteden“ ein fantastisches, hoch-kompetitives Boot zur Verfügung gestellt hatte, das Manuel und Regina nur noch an wenigen Stellen (seitliche Abdeckungen, Seilrollen-System für Steuer) optimieren konnten. Von diesem Boot träume ich nachts noch immer.

Zur Komplexitätserhöhung bin ich als Auswärtiger nicht mit viel Ruhe und Vorlauf von Berlin nach Karlsruhe gereist, sondern war bereits rudernd seit Donnerstag auf der Mosel unterwegs und kam erst Freitagabend, wohl mit dem letzten gut organisierten Shuttle, in Karlstruhe an. Dort lag die Elfsteden bereits perfekt präpariert von Manuel und Regina. Trotz später Ankunft gab es noch Fleisch vom Grill und das ein oder andere bekannte Gesicht zu grüßen.

Bootsbeladung, Start und erste Kilometer um kurz nach 5 Uhr morgens verliefen für uns, auch wenn wir drei noch nie zusammen im Ruderboot gesessen hatten, erstaunlich ruhig, routiniert und gelassen. Ab dann ging es an die Strecke und darum, den Wechselrhythmus alle 30 Minuten und das schnelle Klettern über das Boot „on the fly“ zu perfektionieren. Den ersten Stopp hatten wir für Ludwigshafen vorgesehen; dort warteten bereits Helfer mit frischen Getränken und haben wohl die einzigen „Beweisfotos“ von uns auf Wasser gemacht. Wir drei waren voll im Tunnel und haben das Fotografieren vollends vergessen.

Weiter ging’s zum nächsten Zwischenstopp in Mainz, ein nicht ganz leicht anzufahrender Steg, dafür jedoch auch leer. Die weiteren Kilometer verflogen vor unseren innen und äußeren Augen; nur gestört durch die massive Präsenz hochmotorisierter Rennjachten, die Schlagkonstanz (Strokemaster sei Dank) und den ruhigen Lauf der Elfsteden zuweilen erschütterten. Dann wieder Swing und Flow, über Stunden hinweg. Dabei regelmäßige Ermahnungen unseres Obmanns Manuel an den Steuerplatz, dort bei jeder Steuerphase ordentlich zu essen, zu trinken und UV-Schutz nachzulegen (Resultat: Kein Hungerast, keine Unterzuckerung im Team!). Ab dem späten Nachmittag meldete sich, zumindest bei mir, zum ersten Mal der Popo und gab mir zu verstehen, dass eigentlich genug sei. Der Moment für die eingangs erwähnten „physischen und psychischen Grenzverschiebungen“ war gekommen. Die zweite mentale Störung ereilte mich kurz nach Bacharach. Dort wollten wir eigentlich für den letzten Steuermannswechsel (denn Loreley sollte ich steuern) anlegen, konnten den Steg aber aufgrund des niedrigen Wasserstands und der bekannten Sandbänke nicht anfahren. Unser Obmann Manuel entschied sich weise für ein Anlegen am anderen Ufer ohne Steg und verschaffte so Regina und mir die dringend bei uns benötigte Pause an Land kurz vor dem Ziel (Manuel ist härter, der hätte die Pause nicht gebraucht). Bei dieser Pause entschieden wir, trotz großem Zeitpuffer, „nur“ noch bis St. Goar zu rudern, um das Boot dort komfortabel am Steg herausnehmen zu können. Gesagt getan: Ab hier wurde es für mich auf dem Steuerplatz und in meinem Kopf entspannter, denn die Loreley passierten wir nahezu ohne Schiffsverkehr, bei strahlender, tief stehender Sonne und mit der Gewissheit, es gleich geschafft zu haben. Als erstes Boot legten wir entspannt in St. Goar an, konnten den weiteren Vierern beim Tragen helfen und saßen bereits um 22 Uhr im Shuttle zurück nach Mainz. Dort angekommen warteten abermals unsere Helfer auf uns und realisierten für uns alle den nächtlichen Rücktransport nach Karlsruhe bzw. zum Mainzer Hauptbahnhof. Denn ich wollte nachts noch mit dem Zug zurück zu meinen Kameraden der Moselfahrt. Das hat auch geklappt, so dass ich am Sonntag (wo man vielleicht besser seine Wunden leckt und gar nichts tut) die letzte Wanderfahrtenetappe bis nach Bonn dort noch mitrudern konnte. Danke an alle Helfer, unseren fantastischen Obmann Manuel, an unsere Mitruderin Regina und den KRA für dieses unvergessliche Erlebnis.

Tue ich mir und meinen Kameradinnen und Kameraden so etwas im nächsten Jahr wieder an? Unbedingt! Und wenn es nicht das All you can row ist, dann sicherlich ein ähnliches Ruderevent für „Grenzverrückte“.

Bericht + Foto: Nils Löber (Ruderclub Narva Oberspree, Berlin)